Mittwoch, 17. April 2024

Lo que sucede ...

Lo que sucede conviene

Dicho Cubano

 Pero sabes la vida es lo más importante y esa tienes que seguirla hacia adelante.

Andres Denis Rabelo Macias

Mittwoch, 10. April 2024

Eine wirklich gute Therapeutin

 Ich bin zu einer wirklich guten Therapeutin gegangen, die mir sagte, dass ich nicht aufhören muss, an ihn zu denken, aber mich auch fragen soll, ob es mein Leben verbessert, so an ihm festzuhalten, und was ich stattdessen tun kann, was am wichtigsten ist, und welche Verantwortungen ich habe.

Garry Disher: Barrier Highway

Mittwoch, 3. April 2024

Mein Bruder Marco

Sucht ist keine Privatangelegenheit. Wer süchtig ist, infiziert auch sein Umfeld. In erster Linie sein familiäres. Gut also, denkt es so in mir, dass da ein Bruder sich mit seinem alkoholabhängigen Bruder auseinandersetzt. Wenn auch posthum, zehn Jahre nach dessen Tod. Doch schon bald merke ich, dass dieses Buch vor allem vom Autor und seinen Interessen (Geschichte, Soziales, Machtverhältnisse) und seinem Leben handelt. Und so recht eigentlich ist das keine Überraschung, denn wir kennen nur uns selber, und auch nicht besonders gut.

Das Geburtsjahr von Marco, 1947, ist dem Autor, emeritierter Professor für Soziologie, Anlass, ihm wichtig erscheinende Ereignisse zu schildern. Das scheint mir etwas arg weit hergeholt. Wie auch der Versuch der Einbettung der Marco-Geschichte in einen gesellschaftlichen Zusammenhang. Wenn man etwa liest, ihn und andere habe Störigs "Kleine Weltgeschichte der Philosophie" angesprochen, die er gründlich durchgeackert habe, ist das mehr als nur vage und lässt den Leser einigermassen ratlos zurück (Was genau hat ihm daran zugesagt?).

Doch das sind Details. Entscheidender ist die Charakterisierung des offenbar bestens vernetzten Theologie- und Sportstudenten Marco, der gleichzeitig als sensibel und stur rüberkommt und sich für die Menschen am sogenannten Rande einsetzt. Und er trinkt, und zwar immer mehr. Auch wenn Alkohol in der Familie eine Rolle gespielt hat – so trank der Grossvater seinen Schnaps bereits frühmorgens, er starb  mit einer Leberzirrhose; der Vater, ein gelernter Metzger, arbeitete als Alkoholfürsorger – , die Sucht steht in diesem Buch nicht im Vordergrund. Und genau dies ist meiner Meinung das Problem mit Süchten: Sie gehören prominent adressiert, denn sie bestimmen das Leben der Süchtigen.

Auch wirkte auf mich die Schilderung des alternativen Milieus, in dem sich Marco bewegte, ganz ähnlich wie das sogenannt bürgerliche Milieu – beide zeichnen sich dadurch aus, dass keine wirklichen Auseinandersetzungen mit dem Rätsel unserer Existenz stattfinden. Man redet über Politik, nicht über Sucht. Das ist Ablenkung. Wohl aus gutem Grund: Der Sucht gegenüber ist man meist hilflos.

Den Alkoholismus von Marco versucht die Familie mit einer Familientherapie anzugehen, dann beantragt sie bei den Behörden einen zehnwöchigen fürsorgerischen Freiheitsentzug. Ein guter Vorstoss, denn darauf zu warten, das jemand aus freien Stücken von der Sucht lässt, geschieht viel zu selten als dass Freiwilligkeit ein Kriterium sein sollte. Denn es kommt vor, dass Süchtige, die zur Abstinenz gezwungen werden, diese zu schätzen beginnen. Und auch bei Marco scheint dies, zeitweise zumindest, der Fall gewesen zu sein.

Mein Bruder Marco ist eine Familien- und Zeitgeschichte, hauptsächlich in Form eines Gesprächs. Eine mir sympathische Vorgehensweise, auch wenn sie gelegentlich etwas befremdlich wirkte, besonders dann, wenn der Autor sich des Konjunktivs bediente, also spekulierte. Nichtsdestotrotz ist diese Annäherungsgeschichte sehr vielschichtig. So schildert der Autor, dass ihm des Bruders Liebenswürdigkeit manchmal zu weit ging, doch attestiert er ihm kurz darauf unter Bezugnahme auf Jean Améry eindeutig mehr Realitätssinn als dem theoretisierenden Michel Foucault.

Mein Bruder Marco ist ein anregendes Werk, das unter anderem von der Verbundenheit von Churchill und Chaplin, die beide mit Depressionen geschlagen waren, berichtet. Und vom britischen Politiker und Neurologen David Owen, der die eigene Machtkrankheit als Droge und Sucht beschrieb. Und auch Marco hellsichtig zu Wort kommen lässt: "Statt Widersprüche zuzulassen, definieren wir Ambivalenzen mit enggeführter Logik weg. Wir übersehen dabei die Vielfalt in der Einheit. Und täuschen uns dabei selbst."

Mein Bruder Marco erlebte ich als berührend und vielfältig aufklärend, nicht zuletzt der Schilderung von Marcos Umfeld wegen. Dass Ueli Mäder thesenartige Folgerungen an den Schluss stellt, ist wohl der Soziologie geschuldet. Was die Sucht angeht, ist es simpel: Sie gehört konfrontiert. Darüber reden, sie analysieren, lenkt allzu häufig nur davon ab, von ihr zu lassen. Zudem: Erklärungen und Einsichten werden überbewertet, schliesslich wissen wir, wie wir leben sollen. Wir müssen es nur tun.

PS: Auch eine Geschichte, die Marco für eine Weihnachtsfeier mit angehenden Sozialarbeitenden schrieb, ist beigefügt. Eine Dozentin kritisierte, wie er einen Säufer idealisierte, der Autor hatte den Eindruck, er gebe viel von sich preis, ich meinerseits las den Text als Hilferuf eines Alkis, der gerettet werden möchte.

Ueli Mäder
Mein Bruder Marco
Eine Annäherung
Rotpunktverlag, Zürich 2024

Mittwoch, 27. März 2024

Be what you are

You have to know, and be, what you are. Be what you are. The rest is only pride.

Saul Bellow: Memoirs of a Bootlegger’s Son

Mittwoch, 20. März 2024

Menschlicher Wettbewerb

 Ich bin froh, dass der Flug nach Paris nicht ein Rennen geworden ist. Jetzt kann ich die Drosselklappe auf Reichweite statt auf Geschwindigkeit stellen und literweise Benzin für sorgenvolle Stunden horten, in der die Brennstoffreserve die Rettung des Flugs bedeutet. Ich habe ein Rennen über den Ozean nie gewollt. Auch ohne den menschlichen Wettbewerb sind es der Schwierigkeiten schon genug.

Und wieviel Vorteile hat das Alleinfliegen (...) Durch das Alleinfliegen habe ich Reichweite, Zeit und Beweglichkeit gewonnen. Und vor allem: Freiheit. Ich habe keinen Bordkameraden in mein Pläne einweihen müssen. Meine Massnahmen waren nicht durch eines anderen Temperament, Gesundheit oder Kenntnisse eingeschränkt. Meine Entscheidungen sind von der Verantwortung für ein zweites Leben unbeschwert.

Charles A. Lindbergh: Mein Flug über den Ozean

Mittwoch, 13. März 2024

Meine Mediensucht

Der Süchte gibt es viele. Und so recht eigentlich gibt es nichts, was nicht süchtig machen, zum Zwang werden könnte.

Eine meiner Süchte ist die Mediensucht. Und diese hat im Laufe der Zeit ganz unterschiedliche Stadien durchlaufen. Es versteht sich: sie begann nicht als Sucht, sie wurde dazu.

Angefangen hat es mit dem Journalismus. Genauer: mit der amerikanischen Fernsehserie Lou Grant. Ausser dass sie auf einer Zeitungsredaktion spielte, weiss ich nur noch, dass ich keine Sendung verpasste und Reporter werden wollte. So einer wie Jack Nicholson in Michelangelo Antonionis (vielleicht war es auch wegen des Klangs dieses Namens) Profession Reporter, wobei, ich erinnere mich bei diesem Film nur noch an Bilder von der Wüste, und vor allem an Maria Schneider.

Als Student versuchte ich mich mit Buchkritiken, eine wurde in der Femina veröffentlicht, weil ich mit einer Journalistin, die dort arbeitete, bekannt war. Ich fand schreiben mühsam, mich faszinierte das fertig Geschriebene, nicht das Schreiben.

In einem Buchverlag gab ich eine Journalismus-Buchreihe heraus. Mit bekannten Autoren aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Dann wollte ich Journalismus unterrichten, machte meinen Magister in Journalism Studies, musste dann jedoch erleben, dass Journalismus entweder von Journalisten am Ende ihrer Karriere oder von Akademikern, die sich mit den universitären Spielregeln arrangiert hatten, unterrichtet wurde.

Ich beschloss, mich vom Thema meiner Magisterarbeit, der Dokumentarfotografie, leiten zu lassen. Und darüber zu schreiben. Ich schien auf eine Nische gestossen zu sein, meine Artikel wurden veröffentlicht. Nie werde ich die Email des Herausgebers einer sehr intellektuellen deutschen Online-Zeitschrift, die dann später als Print-Ausgabe erschien, vergessen, die mich in Buenos Aires erreichte und mich wissen liess, dass er gerade die Lektüre meines Artikel über Susan Sontag unterbreche, weil es ihn zu sagen dränge, wie hervorragend er ihn finde. Ich war im achten oder neunten Himmel.

Meine anfängliche Begeisterung hielt nicht lange an. Die Uniformität der Massenmedien zu beklagen, begann mich zu langweilen. Doch da war noch etwas anderes, ein Zwang, der sich unbemerkt eingeschlichen hatte und der mir erst im Nachhinein bewusst wurde. Ich musste die Nachrichten verfolgen, musste auf dem Laufenden sein, schien keine Wahl zu haben. Das war mir zwar klar, doch wie immer bei Süchten: Einsichten helfen selten weiter.

Doch wenn die Zeit reif ist, kann hilfreich sein, ganz einfach den Vorspann eines Artikels* zu lesen, um zu wissen, dass man solche Informationen nun wirklich nicht braucht. Und die meisten anderen auch nicht. Und wenn man etwas nicht mehr braucht, dann ist man frei davon. Das ist banal, sicher. Doch erst, wer es erlebt hat, weiss, wovon er spricht.

*Eine Europaratsdelegation machte sich auf der griechischen Insel Kos ein Bild von der Flüchtlingskrise. Angeführt wurde sie von der Zürcher FDP-Politikerin Doris Fiala. (Tagesanzeiger Online am 31. Oktober 2015).

Mittwoch, 6. März 2024

Vom Festklammern

Rio Grande, 25. Februar 2024

Gefühle kommen und gehen, das Beste ist, sich nicht an sie zu klammern. Ich weiss das – und trotzdem klammere ich mich. Loslassen, so meine Erfahrung, kann man nicht wollen.

An Einsichten, was zu tun wäre, um gut zu leben, mangelt es mir nicht. Ich verdanke sie meiner ausgiebigen Lektüre wie auch Momenten, in denen ich zugänglich für die Botschaften des Lebens gewesen bin.

Gegen das Gefühl der Angst, das mich schon ein Leben lang begleitet, sind meine Erkenntnisse hingegen nicht angekommen. Die Angst regiert mein Dasein, mein Kopf hat keine Chance dagegen. Nicht die ganze Zeit, doch meine Träume machen mir klar, dass Kontrolle eine Illusion ist.

Ich stelle mich dieser Angst so gut ich es vermag. Mich ablenken will ich nicht, das verachte ich – und tue es trotzdem immer wieder. Das Festhalten am Vertrauten hat mich im Griff, dominiert alles. Zum Vertrauten gehört auch die Vorstellung, ich müsse loslassen können.

Das Einzige, das mir gegen die Angst hilft, ist das Gegenwärtig-Sein. Einen Schritt nach dem andern machen; die Dinge langsam angehen. Dann erfahre ich, dass ich hier bin. Nur dies gilt es zu üben. Vielleicht wäre besser auch von dieser Vorstellung zu lassen ...